2015 „meersehen mehrsehen“
Galerie Display Köln
Unkonforme Realistik
Christian Hein malt realistisch. Der 1967 in Kösching geborene Künstler lebt und arbeitet seit 1989 in Köln. Eine Auswahl seiner vielen Werke ist im Oktober unter dem Titel „meersehenmehrsehen“ in der Kölner Galerie Display zu sehen. Text zur Ausstellung
Hier eine Listung der gezeigten Werken der Ausstellung
Als Malfläche benutzt er statt Leinwand andere textile Untergründe unserer Alltagskultur wie Laken, Fahnen, Surfsegel, Filtergewebe, Kleidung oder Handtücher, vorzugsweise gebraucht und abgewetzt. Sind schon die Bildträger seiner Ölmalerei alltäglich und aus dem Alltag gegriffen, aber in der Kunst nicht üblich und alltäglich, sind es seine Bildmotive auch, die sich Fotografien verdanken, die Hein selbst im Umfeld oder Urlaub aufgenommen hat oder die aus externen Bildvorlagen übernommen sind, die aber nicht, wie üblich, als volle Vorlage für fotorealistische Malerei dienen.
Stets geht es um Menschen im Alltag, um ihr Verhalten, ihr Handeln, Warten oder Zusammenwirken, das durch die Motivauswahl als ungewöhnlicher erscheint, als man es im Alltag meist wahrnimmt. Die Distanz zum Alltagsleben einer anderen Lebenskultur (im Urlaub) prägt zunächst viel leichter den fotografischen Blick für ungewöhnliches Verhalten oder ungewöhnliche Situationen, die auch etwas typisches in sich bergen. Zu nennen wäre hier die in Frankreich gefundene Familie mit afrikanischem Migrationshintergrund an einer Bushaltestelle. Daraus verstärkt sich ein wohl schon vorher beim Künstler vorhandener Blick für das ungewöhnliche, besser für flüchtige, aber prägnante und witzige Konstellationen, die aber nicht als skurril oder absurd betont werden, sondern doppeldeutig, von seltsam ungewollter Magie (Der Heiler), manieristischem Reiz (Sprünge, wie sie seit Goltzius´ Graphiken Taumelnde und Höllenstürzler vollführen, heute Turmspringer) oder schmunzelsamem Wohlwollen für freiheitliche Lebensfreude erscheinen. Diese Bezogenheit auf das unpathetische Dasein und bedrohte Lebensglück hat aber durchaus auch wache Bezugnahmen auf politische Situationen und ästhetische Debatten. Hein zieht sich nicht ins neckisch Private zurück, sondern kommentiert gegen die Werbekampagnenmotivik sowie den touristischen, journalistischen und propagandistischen Massenbildblick eine übersehene alltagsprägende Realität. Er hält dem geduldig Stand und schafft Gegenrealitäten allein schon durch die ausschnitthafte Collagierung. In dieser Ausstellung ist es Wasser und Meer und durch die Mittelmeerflüchtlinge auch die Migration.
Die Kombination mit dem Untergrund, auf den nur inselhaft Ölmalereipartien aufgetragen werden, gibt den Bildthemen eine zusätzliche Aufmerksamkeit. Nicht so sehr Mimik, wie Gestik und Silhouette prägt die Vermutung einer Gefühlslage. Die Bildfelder werden dabei in die Farbigkeit und Struktur der durchaus auch geflickten Textilien eingebracht. Sie nehmen Bezug auf Liniaturen, Dekor oder Farbe, lassen zeichenhaft Wasser, Pool, Strand oder Himmel suggerieren, aber sie bleiben als fremd erkennbar, behalten ihr quertreibendes Eigenleben, bieten keine passende Raumillusion, sondern nur Raumassoziation, latente Stimmigkeit mit heitererem Irritationsbeigeschmack. Durchlaufende Muster werden (notgedrungen) als Boden und Himmel zugleich gedeutet und in ihrem Anschauungscharakter als deutungsbedingtes Element erkennbar. Die Springer etwa vor Doppellinien, die Wasser, Hochspannungsdrähte oder Notenheftlinien sein könnten, die die Verdrehten zu schriftartigen Zeichen machen. Das macht den einen Teil der eigenwilligen Präsenz aus, den anderen liefern die Personen.
Auf gestapelte und mit verschiedenen Stoffen bespannte Keilrahmen hat der Künstler zwei Darstellungen gemalt, die aus den Streifen jeweils Himmel oder Wasser werden lassen. Ein überfülltes Flüchtlingsboot, das am Strand über Schlauchboote entleert werden soll und eine aus Kisten gestapelte Rettungssschwimmer-Überwachungsstation mit abgezäuntem Revier verweist auf Realität, die es als Tagesaktualität sonst meist nicht in den Kunstkontext schafft. Hein nennt die Arbeit „Randerscheinungen“. Sie finden seewärts und landwärts des Meeressaumes und Strandrandes statt. Gerne werden diese Geschehnisse als Randerscheinungen eingestuft und zugleich sind sie auf dem Rand der Keilrahmen dargestellt.
In dieser auch für andere Bildtitel genutzten sprachlichen Doppeldeutigkeit zeigt sich ein humorvoller und anspielungsreicher Umgang mit Bildthemen und Titeln, mit geschürten Erwartungen und dem Blick fürs Detail, auf das man mit Christian Hein einen neuen und durchaus ambivalenten Blick wirft. Die Welt ist voller seltsamer Bilder. Christian Hein bannt sie uns auf Stoff, der aus seiner Gewöhnlichkeit ebenso wieder herauswächst, wie die gewählten Bildstoffe, um im Duktus der Doppeldeutigkeit zu bleiben. In Sinne der immer mitschwingenden Widersprüchlichkeit sind Figur und Grund bzw. Malerei und Untergrund beide „anziehende Stoffe“. In diesem Sinne sieht man auch mehr als Meer.
Dr. Dirk Tölke , Kunsthistoriker, Aachen