Stitches
Christian Heins Bilder materialisieren visuelle Erinnerungen wie sie kein Smartphone und kein Fotoapparat aufzeichnen kann.
In der Bildserie "Stitches" nutzt der Künstler überwiegend Kreuzstichmustervorlagen auf Papier aus alten Musterheftchen sowie einigen Seiten aus seinen abgelaufenen Reisepässen als Bildgründe und kombiniert diese mit aktuellen Bildmotiven, die in Ölfarbe ausgeführt sind. Die Bilder von Christian Hein zwingen den Betrachter zunächst, ihre Materialität zu bemerken. Man möchte sie am liebsten berühren, denn das Auge ist irritiert angesichts der trompe l’oeil-artigen Kombinationen von bemalten und bedruckten Untergründen. Malerei wird zur Camouflage.
Kreuzstichmuster gehören traditionell zu einem Gestaltungsverfahren, das im Handwerklichen und Dekorativen verortet ist. Der Titel "Stitches" spielt aber nicht nur auf die zugrunde gelegten Kreuzstichmuster an, sondern auch auf das Zusammenfügen unterschiedlicher Elemente, ähnlich bestimmten Verfahren in der Medientechnik. So wird „Stitch“ bei TikTok als ein Tool verwendet, um Videos zu zitieren und neue Kontexte zu schaffen. Christian Hein geht in der Gegenüberstellung von gemalten Motiven und gedruckten Mustern ähnlich vor: Er fügt verschiedene Ebenen und Realitäten zusammen, wodurch neue Bedeutungen entstehen können. Dabei weisen die Hintergründe unverkennbare Gebrauchs- und Alterungsspuren auf und zeugen so auch von der materiellen Geschichte der Bildträger.
Die dargestellten Szenen zeigen ebenso alltägliche wie ungewöhnliche Haltungen und Gesten von Menschen. Die Motive stammen aus Presseveröffentlichungen wie auch aus privaten Bildwelten, was zu einer Vermischung von öffentlicher und privater Sphäre führt. Dabei spielen die kleinformatigen Arbeiten mit dem Verhältnis von Figuren und Bildraum: Durch die Überlagerung von alten Mustern mit heutigen Szenen fordert der Künstler die Betrachtenden auf, noch einmal genauer hinzusehen und über Kontinuitäten und Brüche in der menschlichen Erfahrung nachzudenken. In einer Welt in der die Menschen immer häufiger nach vordergründig eindeutigen Antworten zu verlangen scheinen und immer öfter eine Sehnsucht nach Widerspruchslosigkeit hegen, stellt die Serie "Stitches" dieser Tendenz Mehrdeutigkeit, parodistische Ästhetik und den Reichtum komplexer Lebenswelten entgegen.